ESC 2017 - Den ESC muss man nicht verstehen, man muss ihn lieben

© EBU / NTU
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Wenn sich ganz Europa gemeinsam vor dem Fernseher versammelt, um mehr oder weniger gute Musik zu hören, dann kann das nur eines bedeuten: Der "Eurovision Song Contest" (ESC) ist wieder da.

In diesem Jahr richteten sich alle Blicke auf die ukrainische Hauptstadt Kiew, wo, nach Jamalas umstritten Sieg mit ihrem Klagelied "1944" 2016, die 62. Auflage des Großevents unter dem Motto "Celebrate Diversity" stattfand.

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Nach den starken Shows der Vorjahre in Stockholm & Wien, die nicht nur durch ihre großartige Inszenierung sondern auch durch ihr unterhaltsames Rahmenprogramm bestachen, war schon im Vorhinein anzunehmen, dass diese nur schwer zu überbieten sein würden. Als dann, nach einigen organisatorischen Schwierigkeiten, die politisch instabile Ukraine als Austragungsland fest stand, war klar, dass man seine Erwartungen noch einmal zurückschrauben sollte. Wer das tat wurde jedoch nicht enttäuscht.

 

Eine einfallslose Eröffnungszeremonie und durchschnittliche Pausenfüller wurden von der beeindruckenden Bühne des Designers Florian Wieder, der seine Finger bereits in Düsseldorf (2011), Baku (2012) und Wien (2015) im Spiel hatte, wieder wettgemacht.

Die Ecken und Kanten aus Stockholm hatte man wieder durch rundere Formen ersetzt, die gemeinsam mit dem herablassbaren "Kronleuchter" in der Mitte ein hoch technisches Gesamtpaket ergaben, wie es sich für einen Eurovision Song Contest gehört.

Foto: Andres Putting / © EBU
Foto: Andres Putting / © EBU

Zum ersten Mal in der Geschichte präsentierten drei Männer die Veranstaltung, die mit ihrer Moderation, insbesondere den Green-Room-Interviews, leider weitestgehend enttäuschten. Hier lag die Messlatte nach Petra Mede und Måns Zelmerlöw allerdings besonders hoch.

Comedian Verka Serduchka, die die Ukraine 2007 in Helsinki vertrat, kam zwar in verschiedenen Einspielern vor, durfte aber ihren trashigen Kulthit "Dancing Lasha Tumbai" (Video) am Ende doch nicht live vortragen. Somit wurde in meinen Augen das vorhandene Potential auch hier nicht zur Gänze ausgeschöpft.

Anstatt der ursprünglich 43 Nationen, standen in Kiew nur 42 auf der Bühne, da der russischen Teilnehmerin wegen eines Auftritts auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim seitens der Ukraine die Einreise verweigert worden war. Dieses Verhalten wird von der Europäischen Rundfunkunion (ERF/EBU) noch untersucht und könnte als Konsequenz eine bis zu dreijährige Sperre beider Länder mit sich ziehen.

Von einer Politisierung mit mehrdeutigen Moderationen oder fragwürdigen Texten, wie es in vergangenen Jahren vereinzelt der Fall war, war dann jedoch beim Wettbewerb selbst nichts zu merken.

Foto: Thomas Hanses / © EBU
Foto: Thomas Hanses / © EBU

Unter den 26 Beiträgen, die im Finale gegeneinander antraten, fand man schließlich (getreu dem Motto "Celebrate Diversity") den gewohnten ESC-Mix, bestehend aus langweiligen Balladen, lustigen Trash-Nummern (wie etwa rumänische Jodler), Mainstream-Dance-Pop-Hits (z.B. aus Schweden & Norwegen) und einigen außergewöhnlichen Songs, wieder.

Zu meinen persönlichen Favoriten gehörte, neben den beiden erst 17-jährigen Künstlern aus Bulgarien (Kristian Kostow) und Belgien (Blanche), die moldawische Band Sunstroke Project, welche mit ihrem "Epic Sax Guy" bereits in Oslo 2010 für einen Ohrwurm sorgte.

 

Beim Blick auf die Ergebnisse der deutschsprachigen Länder gibt es kaum Positives zu vermelden: Deutschland, das als "Big-Five-Country" wie jedes Jahr einen fixen Finalplatz hatte, musste sich mit dem vorletzten Platz zufrieden geben.

Im Gegensatz zur Schweiz konnte der Österreicher Nathan Trent sogar das Finale erreichen und sicherte sich dort dank den Länderjurys den 16. Platz, obwohl er vom Publikum 0 Punkte erhielt.

 

Wieder zu bemängeln ist die, im letzten Jahr eingeführte, neue Punktevergabe, bei der die Sprecher nur mehr die Jury-Punkte ihrer Nationen verkünden und das Publikumsvoting am Schluss dazu addiert wird um die Spannung zu halten. Dieses System nimmt dem Song Contest leider vieles von seinem klassischen Flair. (Stefan Niggemeier schrieb dazu bereits nach dem letzten ESC einen sehr treffenden Artikel.)

Foto: Andres Putting / © EBU
Foto: Andres Putting / © EBU

Die große Bühne ließ viel Raum für überspitzte Inszenierungen, am Ende gewann jedoch genau das Gegenteil davon: Der Gewinner Salvador Sobral stand alleine auf einer Plattform im Saal und sang leise seinen portugiesischen Jazz-Song "Amar Pelos Dois", nur begleitet durch Klavier, Streichinstrumente und seine eigenen, teils leicht befremdlich wirkenden, Handbewegungen.

 

Für mich war sein Sieg, genau wie bei Jamala 2016, unverständlich.

Aber vielleicht muss man den Eurovision Song Contest gar nicht verstehen, vielleicht muss man nicht verstehen, warum sich jährlich über 40 europäische Nationen zu einer Art überdimensionalem "Rap-Battle" treffen, vielleicht muss man nicht verstehen, warum Australien auch dabei ist und vielleicht muss man nicht verstehen, warum dieses Phänomen nach 62 Jahren noch immer bis zu 200 Millionen Menschen weltweit vor den Fernsehgeräten vereint.

Vielleicht muss man den Eurovision Song Contest einfach lieben, feiern und leben.

 

Das klingt jetzt alles ein bisschen zu dramatisch, aber spätestens in Portugal, das 2018 seinen ersten Song Contest austragen wird, werden uns diese Gefühle hoffentlich wieder packen.

 

Niki

 

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