
Es gibt kaum einen Abend im Jahr auf den ich mich mehr freue als den, an dem das Finale des "Eurovision Song Contest" (ESC) stattfindet.
Während ich 2015, dank Conchita Wursts unglaublichem Sieg in Kopenhagen, Europas größte TV-Show noch live in der Wiener Stadthalle erleben durfte, musste ich mich dieses Jahr wieder mit meinem Fernseher und dem kultigen ARD-Kommentator Peter Urban "begnügen".
Obwohl heuer keine Frau mit Bart unter den Teilnehmern vertreten war, war bereits im Vorhinein klar, dass es ein kontrovers diskutierter ESC werden würde.
Doch beginnen wir am Besten ganz am Anfang. [...]

Durch Måns Zelmerlöws Sieg mit dem Dance-Pop-Hit "Heroes" in Wien war, nach nur zwei Jahren Pause und bereits zum sechsten Mal insgesamt, wieder die schwedische Fernsehgesellschaft SVT mit der Ausrichtung des Events betraut.
Anstatt erneut auf Malmö zu setzen entschied man sich dieses Mal für eine Austragung in Stockholm.
Die kugelförmige Architektur der Veranstaltungshalle, der Ericsson Globen, wurde geschickt eingesetzt: Unter dem Motto "Come together" flogen Löwenzahnsamen aus ganz Europa zur als überdimensionale Pusteblume stilisierten Arena in der schwedischen Hauptstadt.
Gastgeber SVT punktete nicht nur durch eine gewohnt professionelle Organisation sondern auch durch eine ausgezeichnete Besetzung der Moderation. Mit Petra Mede, die bereits 2013 in Malmö moderierte und dem Vorjahresgewinner Måns Zelmerlöw setzte man auf ein ESC-erfahrenes und vor allem erfrischend humorvolles Duo.
Die satirische Aufarbeitung von Schwedens Teilnahmen am Song Contest im Rahmen des Dreiteilers "Nerd-Nation", die Taxi-Fahrten mit versteckter Kamera und natürlich die beiden äußerst selbstironischen Lieder "That's Eurovision" und "Love Love Peace Peace" (welche den Wettbewerb sicher gewonnen hätten, wären sie nur zur Auswahl gestanden) bescherten dem ESC 2016 mit Sicherheit den Titel "Lustigstes Rahmenprogramm" aller Zeiten.
Im Vergleich zum letzten Jahr muss ich doch erwähnen, dass die Eröffnung des Finales mit schwedischer Dance-Music und in Papierfetzen gehüllten Models nicht annähernd an die spektakuläre Gänsehaut-Eröffnung in der Wiener Stadthalle herankam.
Ich wage allerdings generell zu bezweifeln, dass diese Show so bald jemand übertreffen wird.

Der eigentliche Kern des "Eurovision Song Contest" sollte selbstverständlich die Inszenierung sondern die Musik sein.
Hier zeichnete sich bereits in den beiden Semifinali ab, dass es ein sehr spannender Samstag werden würde.
Als meine persönlichen Favoriten galten unter anderem Armenien, Malta und Australien. Ja tatsächlich, Australien. Das Land am anderen Ende der Welt durfte auch dieses Jahr teilnehmen, ob das von nun an immer so sein wird hat die Europäische Rundfunkunion (EBU) noch nicht entschieden.
Natürlich durften beim auch ESC 2016 aufwendige Bühnenperformances nicht fehlen. Die spektakuläre Bühne bot dafür ausreichend Platz, sorgte aber leider auch dafür, dass Solo-Künstler eher verloren wirkten. Dieses Problem wurde 2015 wesentlich besser gelöst.
Auffällig war zudem der vermehrte Einsatz von Bildeffekten und Kameratricks, insbesondere beim georgischen Beitrag. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen.

Mit großer Skepsis wurde von den Fans das neue Punktevergabesystem erwartet.
Seit diesem Jahr werden quasi doppelte Punkte vergeben: Zuerst werden in Live-Schaltungen die Jury-Punkte vergeben, hierbei werden nur mehr die 12 Punkte vom Sprecher verlesen, alle anderen Werte werden eingeblendet. Danach geben die Moderatoren die - bereits aus allen Ländern zusammenaddierten - Punkte aus dem Publikumsvoting bekannt, beginnend mit dem Land, das die wenigsten Punkte erhalten hat.
Somit möchte die EBU sicherstellen, dass bis zum Ende unklar bleibt wer gewinnt und die Spannung möglichst hoch halten. Dabei war es bisher eigentlich immer spannend genug.
Das neue System ist vielleicht gut für die Dramaturgie der Show, es macht aber keinen Spaß mehr und sorgt im Endeffekt nur dafür, dass der Vergabeprozess und etwaige "Punkteschiebereien" noch intransparenter werden.
Gewonnen hat am Ende ein Beitrag, der fast disqualifiziert worden wäre. Die Ukrainerin Jamala thematisierte in ihrem Titel "1944" die Deportation der Krimtataren nach Zentralasien durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin.
Kritiker sehen in dem Lied Anspielungen auf die aktuelle Lage auf der Krim. Da Beiträge mit einem politischen Inhalt beim "Eurovision Song Contest" verboten sind, prüfte die EBU "1944" und entschied sich dann gegen ein Verbot.
Trotzdem werten viele Jamalas Sieg nicht als musikalischen sondern als politischen Sieg, vor allem, weil sich über die tatsächliche Qualität des Musikstücks streiten lässt.
Auch Conchita Wursts Sieg war in gewisser Weise ein politischer Sieg, hier stimmte jedoch das Gesamtpaket aus Gesang, Melodie, Performance und Inhalt, was ich persönlich bei Jamala könnte ich das nicht behaupten.
Natürlich ist es eine Illusion, dass der Song Contest eine unpolitische Veranstaltung sei. Dieses Jahr war das spätestens nach der tänzerischen Inszenierung des Flüchtlingsdramas als Pausenfüller im ersten Semifinale klar.
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle noch einmal Alice Tumler, Moderatorin des ESC 2015, zitieren:
"Tonight music should stand over politics."
Gestern war dies definitiv nicht der Fall.

Als Kritik an der Außenpolitik der deutschen Regierung werten manche auch das schlechte Abschneiden der Sängerin Jamie-Lee. Das halte ich aber für etwas übertrieben. Ihr Song "Ghost" ging unter den 25 anderen Nummern einfach zu sehr verloren.
Österreich erreichte hingegen mit fröhlichem französischen Kitsch und der jungen Zoë einen respektablen 13. Platz.
Überraschend war für mich, neben dem Sieg der Ukraine, die große Beliebtheit des als Zirkusdirektor verkleideten Jesus Christus aus Polen.
Im Jahr 2017 wird der ESC mit größter Wahrscheinlichkeit in Kiew stattfinden, auch wenn einige ukrainische Politiker sogar eine Ausrichtung auf der Halbinsel Krim fordern.
Ich hoffe jedenfalls, dass der "Eurovision Song Contest" nächstes Jahr wieder etwas weniger politischer wird. Dafür stehen die Voraussetzungen jedoch denkbar schlecht.
Allerdings hat die Ukraine mit dem legendären Beitrag von Verka Serduchka 2007 schon einmal gezeigt, dass auch einfach der Spaß im Vordergrund stehen kann.
Wir dürfen niemals vergessen, was der "Eurovision Song Contest" eigentlich sein soll:
Ein großes Fest bei dem Menschen aus ganz Europa (und Australien) zusammenkommen, ihre politischen Differenzen vergessen und gemeinsam die Musik feiern.
Niki
Weiterführende Links
Stefan Niggemeier, Übermedien: Die neue Punktevergabe ruiniert den Eurovision Song Contest
Matthias Breitinger, ZEIT ONLINE: Auch Unterhaltung ist politisch
Alexander Krei, DWDL.de: ESC holt höchste Reichweite seit fünf Jahren
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Eva (Donnerstag, 19 Mai 2016 20:08)
Es gibt keinen anderen tag an dem ich mich so sehr freue ,als dem tag an dem niki was auf nikiweb postet!!
Nikiweb (Donnerstag, 19 Mai 2016 20:13)
Ja Eva, du hast Recht, diese Tage sind leider selten geworden. ;-)