
Nach dem überwältigenden Sieg von Conchita Wurst fand der diesjährige "Eurovision Song Contest" in Wien statt.
Ein ganz besonderes Ereignis, nicht nur, weil der Wettbewerb sein 60-jähriges Jubiläum feierte und er zum zweiten Mal nach 48 Jahren wieder in Österreich stattfand, sondern auch, weil ich die Gelegenheit hatte den ESC einmal live in der Halle mitzuerleben. Eine unvergessliche Erfahrung, aber dazu später mehr.
Dieses Jahr nahmen [...]
...39 Mitglieder der Europäischen Rundfunkunion (EBU) und der Spezialgast Australien, welcher aufgrund des Jubiläums zu einer vorerst einmaligen Teilnahme berechtigt war, teil.
Die Gewinner der beiden Semifinale, die Big-Five, der Gastgeber Österreich und eben Australien durften am Samstag in der Wiener Stadthalle um das begehrte Glas-Mikrophon kämpfen.

Die Show fand unter dem, in meinen Augen sehr passenden, Motto "Building Bridges" statt. Als Logo fungierte ein Ball, der von, eine symbolische Brücke bildenden, kleinen Kugeln durchzogen wurde.
Die wahrlich beeindruckende Bühne aus 1288 Stahlstreben sollte ein Auge darstellen, von der Decke hingen weitere bewegliche Kugeln, welche unterschiedliche Muster formen konnten.
Die Inszenierung des "Eurovision Song Contest 2015" war perfekt und während es bei den Semifinalen noch einige latent peinliche Einspieler gab, sorgte die Final-Eröffnung mit kitschigen Filmbeiträgen und einer schwebenden Conchita Wurst für Gänsehaut.
Ich selbst war sowohl beim Jury-Finale am Freitag, einer Art Generalprobe nach der die jeweiligen Experten-Jurys ihre Stimmen vergeben, als auch beim großen TV-Finale in der Halle anwesend und wurde beide Male überwältigt.
Moderiert wurden alle Ausgaben von Mirjam Weichselbraun, Arabella Kiesbauer und Alice Tumler. Das grundsätzlich erfahrene Trio wirkte leider nicht sehr eingespielt, Arabella Kiesbauer war an manchen Stellen sogar störend, nur Conchita Wurst brillierte mit ihren GreenRoom-Interviews.

Das alles änderte jedoch nichts an der positiven Grundstimmung beim ESC. Im Gegensatz zu Fußballspielen oder sonstigen Wettbewerben gibt es hier keine wirklichen Gegner, Fans aus über 40 Nationen feiern gemeinsam und feuern sich gegenseitig an.
Der "Eurovision Song Contest" ist der Inbegriff eines friedlichen Europas und ein weltweit einzigartiges Event.
Als Russland aber, nachdem bereits die Hälfte der Punkte vergeben war, vor Schweden und Italien auf dem ersten Platz lag, wurden in der Halle Buhrufe laut, welche im Fernsehen nicht in ihrer tatsächlichen Ausprägung zu hören waren. Die Moderatorinnen schienen kurz überfordert und Alice Tumler versuchte dann mit dem Satz "Tonight music should stand over politics" die Situation zu entschärfen. Damit hat sie selbstverständlich Recht, denn laut EBU ist der ESC eine unpolitsche Veranstaltung.
Man muss das Publikum jedoch auch verstehen: Der Sieg von Conchita Wurst war ein Sieg der Toleranz & Akzeptanz in Europa und ein nicht unbedeutender Teil der Fans in der Wiener Stadthalle war homosexuell. Und jetzt sollte der "Eurovision Song Contest 2016" ausgerechnet in einem Land ausgetragen werden, welches Homosexuelle aufs Schärfste verfolgt? Undenkbar.
Doch wieso hat Russland dann, unter anderem vom politischen Gegner Deutschland, 12 Punkte erhalten? Vielleicht geht es eben doch nicht um Politik, sondern um Leistung.
Polina Gagarina sang eine musikalisch großartige Ballade, in der es ironischerweise um den Weltfrieden geht.
Wenn sie den ESC gewonnen hätte, wäre dies vielleicht auch ein Zeichen gewesen, dass man beim Song Contest die Politik kurz vergessen kann.
Dann hätte ich allerdings liebend gerne Conchita Wurst nach Russland geschickt, um zu sehen, ob Staatspräsident Wladimir Putin seine Homophobie kurz vergessen könnte.
All diese Spekulationen sind jedoch vollkommen bedeutungslos, da am Ende Schweden mit dem Lied "Heroes", welches dezent an David Guettas Hit "Lovers on the Sun" erinnert, nach nur drei Jahren den nächsten Sieg nach Hause holen konnte.
Auch Belgien, Australien, Estland, Lettland und Norwegen landeten mit guter Musik auf guten Plätzen.
Deutschland und Österreich gingen hingegen vollkommen leer aus. Hier zeigt sich ein interessantes Phänomen: Während sich die skandinavischen, die osteuropäischen und die Staaten am Balkan immer gegenseitig Nachbarschaftspunkte zuschieben, schenken sich Deutschland, Österreich und die Schweiz gar nichts. Einerseits gut, da so der Wettbewerb fair bleibt, andererseits wäre es gestern vermutlich besser gewesen.
Trotzdem haben beide Länder ihre Teilnahme in Schweden bereits bestätigt.

Eigentlich durfte Australien nur in diesem Jahr ausnahmsweise partizipieren.
Jon Ola Sand, der Executive Supervisor des ESC, zeigte sich aber offen für eine dauerhafte Teilnahme Australiens und anderer nicht-europäischer Staaten, woraufhin China jetzt auch Interesse hat.
Nun muss sich die EBU entscheiden, ob der "Eurovision Song Contest" eine Show, die für ein gemeinsames Europa mit westlichen Werten steht, oder einfach ein internationaler Gesangswettbewerb sein soll.
Ich bin jedenfalls überglücklich ein Teil dieses großartigen Events, das mehr als 200 Millionen Menschen auf der ganzen Welt sehen, gewesen zu sein.
Danke Conchita!
Niki
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